Spontan könnte man meinen, Beschwerden kommen in einer Agentur so gut wie nie vor bzw. bringen außer Ärger und Arbeit nichts. Weit gefehlt. Mit Beschwerden ist es noch schlimmer, als mit dem berühmten Eisberg. Sind beim Eisberg noch wenigstens einsiebentel des Volumens über dem Wasser zu sehen, so sind es bei den potentiellen Beschwerden, von denen eine Agentur erfährt, nur 3 von 100. Dies gilt es zu ändern. Nicht nur, dass ich mehr von der Beschwerdeanzahl erfahre, sondern dass ich auch Beschwerden erfolgreicher nutze. Denn in diesem Thema liegt eine ungeheure Chance zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und damit zur Beeinflussung des wirtschaftlichen Erfolgs. In diesem Artikel beschäftigen wir uns nur mit Beschwerden, die die Agenturen direkt betreffen und nicht den Versicherer (dies wäre ein eigenes Thema).
Erstmals hat die Versicherungsbranche Ziele und Kompetenzen im Sinne von Standards zur Bearbeitung von Beschwerden in Agenturen beschrieben, die sich in der Weiterbildungs- initiative (Die Weiterbildung der Versicherungsvermittler in Deutschland „gut beraten“: hier Teil Kompetenzmatrix) finden. Dort sind als Ziele und Kompetenzen genannt:
Ziele:
- Beschwerden und Reklamationen entgegennehmen, prüfen und geeignete Maßnahmen einleiten.
- Beschwerdemanagement als Instrument zur Qualitätssicherung Kompetenzen:
- Verfahren zu Beschwerden und Reklamationen kennen (Wissen)
- Beschwerden und Reklamationen kundenorientiert bearbeiten (Fertigkeiten)
- Auf Beschwerden professionell und kundenorientiert reagieren (Sozialkompetenz).
- Kundenbeschwerden zur Verbesserung der Kundenbeziehung nutzen (Selbständigkeit).
Der grundsätzliche Vorteil der richtigen Beschwerdebearbeitung in der Agentur liegt darin, dass Kundenabwanderungen unzufriedener Kunden vermieden werden und die in Beschwerden enthaltenen Hinweise auf betriebliche Schwächen Anlass zur Überdenkung der Prozesse und Strukturen geben.
Was ist in diesem Zusammenhang eine Beschwerde (Reklamation) in der Agentur? Als Beschwerde gilt die von einem Kunden (sonstigen Dritten) gegenüber der Agentur geäußerte Unzufriedenheit im Hinblick auf eine Person, einen Vorgang oder eine nicht bzw. schlecht erbrachte Dienstleistung. Dabei muss eine Beschwerde, um als solche zu gelten, nicht zwangsläufig mit dem Wort „Beschwerde“ überschrieben sein. Die professionelle Bearbeitung beginnt schon bei der Annahme der Beschwerde. Grundsätzlich wird jede Beschwerde schriftlich mit einem dafür entwickelten Bogen aufgenommen und zwar vollständig, zügig und strukturiert. Folgende Regeln sollten beachtet werden:
- Lassen Sie den Kunden immer Ausreden
- Kritik in aller Ruhe annehmen
- Werden Sie persönlich
- Grenzen Sie die Schuldfrage aus
- Senden Sie eine Ich-Botschaft (Ich helfe Ihnen gerne weiter …)
- Nennen Sie eine Frist bis …
Bei der Bearbeitung der Beschwerde geht es um die
- Gestaltung der internen Bearbeitungsprozesse
- Anwendung vorher festgelegter Kriterien (gleichmäßig)
- Festlegung von Verantwortlichkeiten
- Definition von Bearbeitungsterminen (zügig)
- Installation von Mechanismen zur Überwachung der Termineinhaltung
Grundsätzlich soll auf Beschwerden angemessen reagiert werden, d.h. finden Sie vollständige und großzügige Lösungen, mit denen beide Seiten leben können. Für Ihren Betrieb müssen die Lösungen effizient und für Ihre Kunden adäquat sein.
Beschwerden können ein hervorragendes Instrument zur Qualitätssicherung sein. Dieser Teil wird ohne Kundenkontakt abgewickelt und besitzt entscheidene Relevanz für die Sicherstellung einer gewünschten Qualität. Festzulegen ist, wer jede einzelne Beschwerde erfasst und analysiert, wer die Grundursachen der Beschwerden ermittelt. Bei der Auswertung geht es dann um den Umfang und die Verteilung des Beschwerde- aufkommens sowie um die Priorisierung der von den Kunden wahrgenommenen
Probleme. Die systematische Ursachenanalyse soll dann als Grundlage für die Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen dienen.
Professionell aufgestellte Agenturen fordern ihre Kunden regelmäßig zur „Beschwerde“ auf, denn unzufriedene Kunden müssen dazu bewegt werden, ihre Probleme und Sorgen gegenüber der Agentur zu äußern und nicht ihrem Umfeld. Schaffen Sie deshalb Möglichkeiten für den Kunden, um mit Ihnen in Kontakt zu treten. Ein spezielles Formular auf Ihrer Homepage, eine besondere Telefonnummer für Beschwerden oder ein fester Ansprechpartner sind hier mögliche Ansatzpunkte. Suchen Sie den Kontakt zum Kunden, um nach möglichen Problemen und eventueller Unzufriedenheit zu fragen.
Der Nutzen von Beschwerden ist für die einzelne Agentur im Sinne der Kundenzufriedenheit von besonderer Bedeutung. Kunden lassen sich im heutigen verschärften Wettbewerbsumfeld auf Dauer nur dann an die Agentur binden, wenn es gelingt, sie jederzeit zufriedenzustellen.
Kundenzufriedenheit entsteht aber nur dann, wenn der Kunde mit seinen Anforderungen und Wünschen vollständig zufrieden ist oder diese sogar positiv übertroffen werden. Daneben sind zufriedene Kunden die besten Empfehlungsgeber für neue Kunden. Desweiteren werden Fehler in der täglichen Arbeit schnell erkannt und können so umgehend abgestellt werden.
Hartmut Pfaffinger