Mit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes hat jeder Versicherungsvermittler (egal, ob Ausschließlichkeitsvertreter, Mehrfachagent oder Makler) nach § 61 VVG vier konkrete Pflichten; drei davon werden mehr oder weniger beachtet, die vierte ist noch relativ unbeachtet. Die verkürzte Fassung des § 61 VVG, Absatz 1, sagt: „Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer … nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und … zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies … zu dokumentieren.“
Die vier Pflichten sind also:
- Befragungspflicht
- Beratungspflicht
- Begründungspflicht
- Dokumentationspflicht
Daraus lassen sich fünf Thesen ableiten.
These 1: Das Thema geht jeden Versicherungsvermittler an, manchen etwas mehr, manchen etwas weniger.
These 2: Die Rechtsprechung geht bei mangelnder Dokumentation auf eine Umkehr der Beweislast. Was also vorab nicht gefragt wurde, kann auch nicht gut dokumentiert werden. These 3: Dadurch werden die Prozesse noch komplexer. Eine systematische Vorgehensweise in der Vorbereitung und im Kundengespräch wird unabdingbar.
These 4: Wer die Arbeitsweise nicht darauf abstellt, wird in den Kosten steigen und/oder im Gewinn sinken.
These 5: Rechtkonform zu werden und/oder zu bleiben, wird damit zur Herausforderung für jeden Versicherungsvermittler.
Zwar gibt es keine generelle Pflicht zur Erstellung einer allgemeinen Risikoanalyse, jedoch sind durch die Fragen nach den Wünschen und Bedürfnissen die notwendigen Auskünfte zu beschaffen, die für eine bedarfsgerechte Beratung erforderlich sind. Deswegen ist es im Sinne einer sorgfältigen Bedarfsermittlung wichtig, zuerst die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu erfragen und somit auch den Beratungsanlass klären. Ein konkreter Versicherungswunsch des Versicherungsnehmers kann die Fragepflicht begrenzen.
Die Fragepflicht zielt auf die Ermittlung des objektiven Bedarfs und der subjektiven Wünsche des Kunden. Der objektive Bedarf wird konkretisiert, in dem man eine Analyse fährt, eine Verfeinerung durch weiteres Hinterfragen vornimmt. Allerdings ist die Fragepflicht nicht unbegrenzt.
In der Beratung haben sich Inhalt und Umfang nach dem vom Kunden vorgegebenen Anlass zu richten. Beratung ist mehr als Information und Aufklärung. Beratung enthält immer eine Wertungskomponente. Allerdings muss auch beachtet werden, dass besondere Auskunfts- und Hinweispflichten entstehen, wenn der Kunde seine eigene Versicherungslage nicht hinreichend genau beurteilen kann. Inhalt und Umfang der Begründung sind vom Gesetzgeber nicht definiert. Die Rechtsprechung gibt aber hier bereits erste Hinweise. Eine zusammenfassende Darlegung der Bedürfnisse des Kunden sowie eine – bei mehreren in Betracht kommenden Produkten – vergleichende Bewertung ist erforderlich. Dabei kann sich die Begründung auf die wesentlichsten Punkte beschränken. Die Dokumentation ist Teil der Willensbildung und ergänzt den Antrag. Sie ist zu Auslegungszwecken heranzuziehen und teilt somit das Schicksal des Gesamtvertrages. Die Dokumentation muss den wesentlichen Gang des Beratungsgesprächs wiedergeben. Kommt es zum Streit über Anlass, Inhalt und Umfang der Beratung, dient die Dokumentation als Beweis. Deshalb ist folgender Merksatz besonders wichtig: Die Dokumentation belegt, worüber der Kunde beraten wurde und – Achtung! – worüber er gerade nicht aufgeklärt wurde. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass eine unterlassene Dokumentation die Vermutung begründet, dass die Beratung in diesem Teil nicht erfolgt sei. Nach Sinn des § 61, Absatz 1, Satz 2, VVG, erstreckt sich die Dokumentationspflicht nicht lediglich auf den erteilten konkreten Versicherungsrat, sondern auch auf die Erfassung der Wünsche und Bedürfnisse sowie den wesentlichen Inhalt der gesamten Beratung. Deshalb sind standardisierte Protokolle eher hinderlich. Ratsam ist es daher, möglichst in frei gestalteten Texten das Gespräch festzuhalten.
Vom Grundsatz her trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches wegen Verletzung der Beratungspflicht. Allerdings sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung nach Gefahren und Verantwortungsbereichen heranzuziehen. Von dem Versicherungsvermittler kann deshalb zumindest – im Sinne einer sekundären Darlegungslast – verlangt werden, dass er darlegt, inwieweit er den Versicherungsnehmer informiert, aufgeklärt und beraten haben will. Verletzt er seine Pflicht, den erteilten Rat und seine Gründe zu dokumentieren und dies dem Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss zu übermitteln, so erscheint es gemäß der Rechtsprechung gerechtfertigt, ihm das beweisrechtliche Risiko aufzuerlegen und dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zuzubilligen.
Wird eine der vier Pflichten verletzt und kommt es darüber zum Rechtsstreit, kann gemäß § 63 VVG eine Schadensersatzpflicht begründet sein (auf das Thema der Verzichtserklärung wollen wir hier nicht eingehen, da es vom Gesetzgeber her als Ausnahme zu verstehen ist). Vom Grundsatz her werden dadurch erst einmal die Prozesse im Versicherungsvermittlerbetrieb komplexer und umfassender. Allerdings zeigt eine Untersuchung des BVK aus dem Jahre 2010, dass dem nicht so sein muss. Befragt wurden Generalagenturen und Makler zu der Erkenntnis aus den Jahren 2007 und 2009 (also vor und nach Einführung des neuen VVGs). Vermittler, die die Erstinformation konsequent ausgehändigt haben, grundsätzlich eine Dokumentation erfolgt ist und sich dies vom Kunden durch Unterschrift bestätigen haben lassen, konnten ihre Abschlussquote (Verhältnis Abschlüsse zu Angeboten) im konkreten Fall um 33 % steigern. Wichtig ist nur, die entsprechenden Arbeitsabläufe und Strukturen genau darauf abzustellen.
Hartmut Pfaffinger