Es ist jetzt gut 18 Monate her, dass ein Agenturinhaber den Kontakt zu uns suchte. Er habe schon seit einiger Zeit ein recht beachtliches Storno zu verzeichnen und würde deshalb auch nicht mehr wachsen können. Ob wir da Abhilfe schaffen könnten?
Wir führten also ein Gespräch mit den beiden Innendienstkräften, dem Außendienst- mitarbeiter und dem Agenturinhaber. Viele Sichtweisen haben wir kennen gelernt. Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise gab es jede Menge. Unsere Frage, was denn mögliche Ursachen sein könnten, wurde mit vielen Annahmen und Beispielen beantwortet. Eine Frage blieb jedoch unbeantwortet: Was sind die wahren Ursachen? Damit wir uns jetzt nicht falsch verstehen, natürlich gibt es auch Situationen, die schwer zu beeinflussen oder eher einmaliger Natur sind. Zum Beispiel der Abgang einer großen Kundenverbindung, der Verlust einer gesamten Zielgruppe oder die Sanierung einer Sparte. Aber in Relation zu den häufigsten Gründen, sind dies eher die Ausnahmen, wenn sie auch im Einzelfall besonders schmerzen.
Im Gespräch kam sehr schnell heraus, dass in der Vergangenheit auf einzelne Vorgänge mit Adhoc-Maßnahmen reagiert wurde. Eine klassische Situation, die wir in Agenturen immer wieder vorfinden, beschreibt dies beispielhaft sehr eindrucksvoll. Ein Wanderer sieht im Wald zwei Forstarbeiter, die mit einer Säge einen Baum fällen wollen. Sie sägen und sägen und sägen...! Der Wanderer spricht die Forstarbeiter an: "Wäre es nicht an der Zeit die Säge zu schleifen?" Darauf die Forstarbeiter: "Wir haben keine Zeit. Wir müssen sägen."
Ähnlich geht es auch in den Vermittlerbetrieben zu. Vor lauter Arbeit und Arbeit und Arbeit werden die Inhalte und die Frage nach den Ursachen des Problems vergessen.
Was ist aber die genaue Ursache des Problems, wenn Kunden ihre Verträge aufkündigen und damit die Kundenbindung an das Unternehmen verloren geht? Die Erwartungen des Kunden werden nicht erfüllt oder er hat schlechte Erfahrungen gemacht. Oberstes Ziel in einem Unternehmen muss es also sein, die Kundenzufriedenheit auf ein sehr hohes Niveau zu bringen und zu halten. Das wird aber nur dann erreicht, wenn dem Kunden ein Nutzen erwächst und dieser Nutzen einen Mehrwert schafft. Dieser Nutzen hängt unmittelbar von den Erwartungen des Kunden ab. Fassen wir es einfach zusammen: der Kunde will einen Nutzen, einen Mehrwert durch meine Betreuung, durch meine Beratung. Daran hat er bewusste oder unbewusste Erwartungen. Wenn diese erfüllt sind, ist er zufrieden. Dann hat er auch keinen Grund die Bindung aufzuheben. Dies ist die logische Kette und dies sind die wahren Ursachen für hohes Storno.
Wir mussten also eine bestimmte Qualität in die Prozesse bringen, die der Kunde erwartet und dem Kunden einen Nutzen geben. Qualität ist hier definiert als die Erfüllung von (Kunden-)Anforderungen zur dauerhaften Kundenzufriedenheit. Dies wird nur durch die Verankerung der Kundenerwartungen in die Tagesabläufe erreicht. Qualität benötigt systematische Planung, nachhaltige Umsetzung und regelmäßige Überwachung der Prozesse, um die Erfüllung von Kundenerwartungen zur dauerhaften Kundenzufriedenheit zu garantieren.
Die Qualitätskriterien, die der Kunde erwartet, müssen in den Prozessen abgebildet sein. In der Praxis hat sich hier bewährt, diese Prozesse in Prozessschritte bzw. Prozessabschnitte zu gliedern. Was sind jetzt aber die relevanten Qualitätskriterien, um die Kundenerwartungen zu erfüllen? Im Thema Kundenbindung – und damit Vermeidung bzw. Reduzierung von Storno - sind es vier zentrale Kriterien. Kunden haben besonders hohe Erwartungen an die kompetente Beratung, die erlebte Betreuung, die schnelle Schadensabwicklung und die unbürokratische Beschwerdebearbeitung. Dabei sind bei den vorgenannten vier Qualitätskriterien die Substantive (Kriterien) die Pflicht und die Adjektive (Prozesse) die Kür. Denn genau in den Inhalten und in der Ausführung der Prozesse liegt der entscheidende Differenzierungsvorteil zum Wettbewerb.
Am Beispiel von unbürokratischem Beschwerdemanagement wird das etwas näher beleuchtet. Der Prozess soll in acht Prozessschritte zerlegt werden, die da heißen: Beschwerde- stimulierung, Beschwerdeannahme, Beschwerdebearbeitung, Beschwerdereaktion, Beschwerdeauswertung, Beschwerdecontrolling, Beschwerdereporting und Beschwerdeinformationsnutzung. Diese Prozessschritte haben auf die Kundenzufriedenheit natürlich eine unterschiedliche Wirkung, sind aber die Treiber (Hebel) unseres Ausgangspunktes. Die Wirkung wird noch verstärkt, wenn wir nach unserer FIQUS-Methode, den einzelnen Prozessschritt konkretisieren: Wieviel Frequenz (F) braucht es, von wem geht die Initiative (I) aus, welche Qualität (Q) ist nötig, wie muss der Umfang (U) beschaffen sein und auf welche Schnelligkeit (S) kommt es an?
In einer Kundenbindungs-Matrix werden jetzt für jedes Qualitätskriterium die einzelnen Prozessschritte nach ihrer Wirkung bewertet (siehe Abb. 1). Damit werden die Prozesse an die kundenbindungswirksamen Kriterien gekoppelt und ein Instrument der Qualitätsanalyse auf einem Blatt zur Verfügung gestellt. Zweitens liegt damit ein Qualitäts-Benchmark vor. Und drittens lässt sich über dieses Instrument die Wirkung von Prozessen beurteilen und systematisch steuern. Nach 8 Wochen waren die oben beschriebenen Prozesse in der Agentur überarbeitet und implementiert. Heute liegen die positiven Effekte auf der Hand: deutlich weniger Storno, sinkender Aufwand zur Neukundengewinnung, Potenziale für Cross-Selling, maßgeschneiderte Angebote, weniger Beschwerden und sinkende Kosten.
Hartmut Pfaffinger